Aus dem Fenster zu schauen und all das sprießende Grün in dieser sanften Mittelgebirgslandschaft in den monts-de-lacaune in Südfrankreich zu sehen, ist ein herrliches Geschenk. Die Weite, die Ruhe, die Klarheit…
Als ich jenen Autorenbeitrag „Augenblicke in der Natur, von Ralf Wendling“ bekam, staunte ich mit welcher Wortkraft Ralf seine Liebe zur Natur ausdrückt. Die Pferdewelt ist jedoch fest in Frauenhand. Ralfs Partnerin Bettina Gebel Kontakt: www.natur-und-familie.de führt Familien über die Pferde zur Natur und viele entdecken wie stark solchen Gemeinsamkeiten verbinden.
Bei diesem Beitrag kamen viele Erinnerungen in mir hoch, und es stimmt, eine Weide ist ein Beobachtungs-, Erlebnis- und Erkenntnisraum. Unzählinge Stunden habe ich einfach nur sitzend, liegend diese Welt unserer Pferde erlebt.
Der kleine Vogel zwitschert Ralf entgegen. So sitzt er, angeleht an den Pferdeunterstand, der aus Brettern gezimmert, auf der ca. 2000m² großen Pferdeweide in den Wingerten des rheinhessischen Hügellandes steht. Natürlich umzäunt, denn hier ist alles dicht bei dicht verplant und genutzt.
Es ist ein ehemaliger Weinberg, leichte Hanglage, südliche Ausrichtung. Für den Bauern ist das Stück nicht mehr wirtschaftlich. Für Bettina und Ralf schon. Geschützt zwischen einem ehemaligen Bachgraben, der von großen Eschen, Wildkirschen, Holunder und sogar Fichten umsäumt ist und einen, um einige Meter aufragenden „Resch“, also einem Stück Steilwand im Rücken, wo sich Hagebutten, Weißdorn und, als Besonderheit, viele wilde Mirabellen- und Pflaumenbäume in den lehmig-steinigen Boden krallen.
Als Bettina und Ralf das Grundstück in seiner sonnigen Lage sehen, ist für beide klar „Das pachten wir“. Da aus dem einen Pferd mittlerweile zwei geworden sind (eine Herde…) und Ralf seine, im Ortsgarten entdeckten, gärtnerischen Fähigkeiten weiter ausbauen will, braucht´s den Platz.
Der Bauer rät zum Einsäen mit „Weidelgras“ und Blaukorndüngung. Die Maschine macht´s. Leider sind die Jahre trocken und das Wasser läuft auf dem maschinell verdichteten Boden brav ab. Somit ist das „industrielle“ Gras, welches dem Standort nicht genügt, alsbald nur noch in Inselchen wahrnehmbar.
Zunächst ist es grün. In der Mitte des Grundstücks ertrotzt Ralf einen kleinen Bereich von ca. 12 m². Hier pflanzt er eine Blutzwetschtge, die sich sofort sauwohl fühlt, was möglicherweise an der Pferdeapfeldüngung liegt, zwei Johannisbeersträucher und wilden Knoblauch, den er in größerer Ansammlung am Rand der Weide gesehen hat. Auf die Pferdeweide wirft er Wildblumensamen, breit gestreut und hofft, dass die eine oder andere Blume gedeihen möge.
Ein weiteres Terrain am oberen Zipfel, ca. 8 m² groß, wird ebenfalls eingezäunt (denn Pferde kennen keine Fraßgrenze…). Hier entstehen erste Ackerbauversuche, mit Rucola, Thymian, Tomaten, Johannisbeere, Knoblauch, Kürbis etc. – Thymian und Knoblauch mögen dieses Fleckchen mit seiner Trockenheit und den vielen Gesteinsarten, die Ralf von seinen Ausflügen in die Steinbrüche immer wieder mitbringt.
Den Rest mögen die Vögel und die Wanzen…
Nach dem zweiten Jahr, besser gesagt, im Frühsommer des zweiten Jahres sind die ersten Pionierpflanzen da. Krause -und Ackerkratzdistel sowie in unglaublicher Farbenpracht und Vielfalt, der rote Klatschmohn. Zahlreiche Insekten, Käfer, Hummeln, Schmetterlinge sind mit einemal da und bereichern dieses Stückchen Erde mit ihrem Reigen.
Die Blutzwetschge trägt die ersten Früchte, knackig dunkelrot-violett. Kleine Johannisbeeren lugen unter dem grünen Blattwerk hervor.
Jahr um Jahr tauchen weitere Pflanzen und Tiere auf der Weide auf. Eine winzige Wasserstelle, angelegt am Eingangstor, mit einer stabilen Folie als Basis, Steinen drumherum, Taubnesseln, Wildrosen und einem kleinen Weidenbaum als Schattenspender, lockt auch Kaninchen und Eidechsen an. Der Misthaufen dient zahlreichen Vögeln als Nahrungsquelle und Wespen als Nest.Horrnissen bauen ihr Zuhause im Unterstand der Pferde. Sie surren umher und die Pferde nehmen´s gelassen.
Im nächsten Jahr ist der Mohn plätzlich fast „verschwunden“! – Was ist passiert? War der Winter zu kalt? – Das Jahr zu feucht? Vielleicht. Die Disteln, mittlerweile auch die herrliche Silberdistel, haben den Mohn wohl erstmal verdrängt. Ralf mäht die Disteln mit der Sense, ehe sie aussamen. Die Pferde fressen sie als Chips. Und der Mohn kommt wieder. Auch Kamille, Brombeeren, kleine Mirabellenbäumchen, Goldnessel, Lein, Klee, Wicken, Löwenzahn, Storchschnabel (der sich rasant vermehrt), Johanniskraut (kommt aus dem Steinbruch), Beifuß, Königskerze, Wolfsmilch, Schöllkraut, Schafgarbe, Natternkkopf, Wiesensalbei (in einer traumhaft, fast „kreisrund“ blühenden, violett-leuchtenden Kolonie), Webwarte, Gänsefingerkraut, Ferkelkraut, lattich-Gewächse und viele andere mehr sind da und erfreuen die Menschen, die Insekten ebenso wie die Pferde jedes jahr auf´s neue mit den farbenprächtigen Blüten. Die Höhepunkte bilden dann samaragdfrüne Käferansammlungen auf den zartvioletten Knospen der krausen Distel.
Das Jakobskreuzkraut, das „alle Pferdebesitzer verrückt macht“ (Zitat Bettina) erorbert sich seinen Platz. Die Pferde (jetzt ist noch ein Pony Namens „Chayenne“ dabei) erspüren die Giftigkeit. Sie fressen es nicht.
Sooft die Zeit im hektischen Alltag es zulässt, sieht man Ralf und Bettina auf ihrer Weide. Rundherum wird chemisch gespritzt, gedüngt, „gegen“ die Natur und „gegen“ die Insekten und sonstigen „Schädlinge“, zum Wohle und Wachstum der Landwirte…
Hier in der Pflanzengemeinschaft, die jedes Jahr mehrere „Könige“ hat, herrscht Eintracht. „Dieses Jahr seid ihr dran da gehört euch die Weide, nächste Jahr wir“. Und dann sieht man sie auch, die „passenden“ Raupen, die in ihrer hellgelb-grüngeringelten Prächtigkeit die Königskerze bevölkern, bevor sie sich entpuppen. Im nächsten jahr dominiert eine andere Pflanze, ein anderes Insekt. Und die Vögel wachen mit darüber, daß ihr Nahrungsangebot im Lot bleibt.
Schon sitzt der Bussard auf einem Pflock des Zaunes und lauert auf die Mäuse und Hamster, die, da unbehelligt, seelenruhig ihre Nester bauen und die Jungen großziehen. Die Kaninchen in ihrem munteren Treiben lassen sich kaum stören. Sogar ein Fuchs „verirrt“ sich manchmal auf das Grundstück.
Bettina und Ralf träumen. Ein Loslassen fällt hier leicht. Der Wind trägt all das Alte mit sich fort. Die Sonne erleichtert das freie Danken. Gute Gefühle brechen sich Bahn. Gedanken fließen, Ralf beginnt hier zu schreiben. Essays „Augenbilche in der Natur“. Hier lässt er seinen Stimme erschallen, atmet tief und sinniert über Vergangenes, Gegenwart und Zukunft. Die Photos, die er hier schießt, sind die Grundlage für die Homepages der beiden und auch für zahlreiche, lebendige Erinnerungen.
Das Grundstück bietet Raum für die Naturseminare der beiden, persönliche Betreuung und Beratung von Menschen sowei der sehr erfolgreichen, weil stark naturgeprägten „Kinder-Camps“. Dies sind Freizeiten während der Ferine und am Wochenende für seine Freunde und Helfer finden hier zueinander und lassen intensive Erfahrungen und Erlebnisse zu.
Diese geführten und doch offenen „erfahrenen Erlebnisse“ entfalten eine nachhaltige Wirkung, sie führen zu Öffnung, Verständnis und Respekt.
Wo sonst können Kinder noch toben, raufen, spielen, singen, gestalten, ihre Kreativität freien Raum lassen, ohne ständig reglementiert zu werden. Auch die Erwachsenen genießen kleine Sinnesfreuden: „Ach, hier ist es so schön ruhig“ – „Sieh, da, der Schmetterling“, „Keine Sorge, die Biene tut niemanden etwas, sie sucht den Nektar für den Honig“…
Ralf steht da und beobachtet. Einen Jungen. Er gilt als „verhaltensauffällig“. Er ist 12 Jahre und sehr still. Plötzlich brechen seine Gefühle aus ihm heraus; dann drückt er sehr deutlich aus, was er möchte, was ihm fehlt… Er ist sehr kreativ. Und eingensinnig. Wenn er an etwas arbeitet, macht er es sehr intensiv. Und sensibel ist er. Die Sinne sind hellwach.
Ralf sieht, wie der Junge die große orange-braune Hummel, die auf einer Blüte gelandet ist, wie gebannt, seelenruhig streichet. Er „spricht“ mit ihr. Und die Hummel bleibt sitzen. Ein ausgesprochenes Bild des Friedens. Natürliche harmonie. Hier wird sie zugelassen. So entstehen in einem kleinen „Freiraum“ neue Sichtweisen, da die Menschen, wenn auch nur für kurze Zeit, offen sind, wieder etwas zulassen.
Und der Begriff „Naturgarten“, den der Naturleibhaber und Autor, Albert Spitzer als „Naturschutz mit Menschen“ geprägt hat und lebt, ist ein treffender Ausdruck für etwas, was eigentlich eine Selbstberständlichkeit in dieser Welt sein sollte:
„Die Natur ist der Garten“!
Am 19. April 2010 von Albert
Kategorie: Autor(inn)enbeitrag, Dorf und Stadt, NaturLandgarten
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