Schutz – Erholung – Erziehung

Naturgarten:-FreiNatur zum Hausgebrauch, von Michael Altmoos

Bunte Schmetterlinge gaukeln über Blüten, die halbwild in einer fantasievollen Mischung aus Beet und Wiese vor sich hin träumen. Am Tümpel, liebevoll Feuchtbiotop genannt, propellert ein lautloser Hubschrauber. Der Kenner sagt dazu „Blaugrüne Mosaikjungfer„, das staunende Kind ruft „wunderschöne Libelle“. Im Liegestuhl daneben entspannt der Meister bei einem Glas Most unter einem lässig zurückgeschnittenen Apfelbäumchen – natürlich selbst gepflanzt. So könnte das Klischee eines „Naturgartens“ aussehen. Und doch hat ein jeder Mensch ein etwas anderes Bild davon. Was aber ist ein Naturgarten und wozu kann er gut sein? Spielerei, Wichtigtuerei oder Einerlei? Nein: Mehrerlei!

Naturgarten – eine Eingrenzung! oder: Naturgarten  – eine Entgrenzung?

Ein „Naturgarten“ ist kein allgemein festgelegter Begriff, sondern bezeichnet umgangssprachlich einen ungefähren Gartentyp. Der Begriff ist weit verbreitet und eine ganze Gartenbaubranche…

Michael-AltmoosDr. Michael Altmoos,
geboren 1967 in Mannheim, Deutschland, ist seit seiner Kindheit mit dem Naturschutz verbunden. Aus seinem Hobby wurde mit viel Arbeit, Glück und Willen sein Traum-Beruf „Naturschützer“. Nach Studium in Mainz und Marburg (Naturschutz-Biologie) und Promotion in Leipzig (Geografie, Naturschutz-Planung) erfolgten professionelle Tätigkeiten in der Naturschutz-Forschung (Umweltforschungszentrum Leipzig), Umsetzungspraxis (Biosphärenreservat Rhön) und Bildung (freiberuflich, eigene Bildungsagentur und Museumsarbeit). Heute arbeitet er fest im Landesamt für Umwelt in Rheinland-Pfalz in Mainz, wo er sich mit dem europäischen Schutzgebietsnetz Natura 2000 beschäftigt. Privat baut er mit im wahrsten Sinne viel Liebe und Leidenschaft, nämlich gemeinsam mit seiner Frau und den 2 Kindern, an seinem Wohnort Staudernheim (Nahetal) ein kleines Museum für Naturschutz in einem alten Steinbruch auf, das einen Naturgarten und eine kleine Wildnis aus Wald und Fels umfasst (http://www.nahe-natur.com).

…hat sich darauf spezialisiert. Doch Naturgarten ist ein weites Feld: Man kann aus vergleichenden Beobachtungen verallgemeinern, dass damit ein Garten gemeint ist, der „naturnah“, also nicht zu intensiv und ohne Einsatz von chemischen Mitteln gestaltet wird.

Er enthält zumeist heimische Pflanzen, wobei zumindest ein Teil davon nicht extra angepflanzt wird, sondern von selbst kommt. Ein Naturgarten enthält zeitweise ungenutzte Ecken und dient bewusst auch als (Klein)Lebensraum für Pflanzen und Tiere, aber auch zum Genuss des Gartenbesitzers.

In der Regel ist ein Naturgarten hausnah, liegt also in Siedlungen oder am Siedlungsrand. Meist ist er privat, das heißt von Privatleuten zum Eigengebrauch gestaltet, oder auch von Vereinen oder Firmen, selten aber staatlich verordnet oder geregelt. Bei größeren Gärten (ab ca. 5000 m²) ist der Übergang zum Park („gestalteter Großgarten“,> 1 ha)  oder zur umgebenden Natur- oder Kulturlandschaft fließend.

Neben den gemeinsamen Merkmalen eines Naturgartens gibt es aber auch eine fast unbegrenzte Variationsbreite. So vielfältig wie die Vorstellung vom Paradies bei den Menschen sind, so unterschiedlich sind auch die Vorstellungen und Gestaltungen eines „Naturgartens“ als privates (Natur) Paradies. Ob mit Permakultur, Wildnis-Kultur oder eigene Freinatur: Jedem seinen Naturgarten!

Naturgarten und Naturschutz: Zwei sich liebende, aber nicht immer gleiche Brüder!

Mit einem Naturgarten werden in jedem Fall zumindest einige Lebensstätten für die heimische Natur geschaffen. In einer industrialisierten Landschaft und angesichts des „Einheitsgrüns“ vieler „normaler“ Gärten, die aber eigentlich eher „abnorm“ zur Natur sind, stellt dieses einen beachtenswerten Beitrag zum Naturschutz dar.

Allerdings gibt es dabei Wirkungsgrenzen. Angesichts der Gartengröße können kaum ganze Lebensräume (vor allem nicht Waldökosysteme), Artengemeinschaften oder größere natürliche Prozesse „geschützt“ werden. Allerdings können bestimmte Ausschnitte von Lebensräumen oder Teil-Habitate für Tierarten bereit gestellt werden, beispielsweise Hecken mit ihren Brut-, Nahrungs- und Versteckmöglichkeiten für viele Tiere, Blütenangebote vor dem Hintergrund immer gleichförmiger werdender Agrar-Landschaften, Kleingewässer oder kleine Sonderstrukturen wie offene Bodenstellen und Steilwände.

Je nach genauer Ausgestaltung, Lage und Vernetzung mit der Umgebung reicht der Beitrag eines Naturgartens als „Lebensraumfunktion“ von „unbedeutend, aber nett“ bis zu „sehr wichtig“, in manchen Einzelfällen sogar extrem bedeutend. Meistens liegt der Lebensraumwert aber eher bei „nett“ bis „ein klein wenig wichtig“.

Betrachtet man den Naturgarten als kleines (privates) Schutzgebiet, so kann man ihm dabei durchaus eigenständige Funktionen zuordnen, muss ihn aber mit Blick auf das Ganze in die Flächenschutzkonzepte einordnen:

In Nationalparken werden großräumige Naturlandschaften, ganze Ökosysteme und natürliche Prozesse geschützt. In Naturparken und Biosphärenregionen/parken/reservaten werden großräumig und integrative Lebensräume, nachhaltige Wirtschaftsweisen und Erholungsfunktionen für den Menschen in einer Mischung aus Pflege und (etwas) ungenutzter Natur gefördert.

Naturschutzgebiete sind dagegen meist kleinere Schutzflächen (breite Spanne, meist zwischen 5 und 500 ha), die wildnisartig oder nutzungsbezogen sein können. In fast allen europäischen Staaten gibt es dann noch kleinräumigere „Naturdenkmale„, „geschützte Landschaftsbestandteile“ oder ähnliche Bezeichnungen, die Kleinhabitate schützen.

Kerngedanke im Flächenschutz ist die Verdichtung und Vernetzung der Schutzflächen, wobei viele Details und Randbedingungen berücksichtigt werden müssen (Wissenschaft). So werden im sogenannten „Natura 2000-Schutzgebietssystem“ in den Staaten der Europäischen Union viele Naturschutz-Flächen aus allen Kategorien, aber auch weitere sonst ungeschützte Flächen ganz speziell für definierte Lebensraumtypen und Arten zusammen betrachtet und geschützt.

Vor diesem Hintergrund kann ein Naturgarten die Funktion eines privaten (kleinen) Naturschutzgebietes haben. Meist aber ist ein Naturgarten nahe der Kategorie Kleinhabitate (Landschaftsbestandteil) einzuordnen. Und weil es verstreut übers Land viele Naturgärten gibt, liegt die besondere Bedeutung von Naturgärten in einer Verdichtung der verschiedenen Naturschutzflächen.

Es ist dann vor allem das vielgestaltige Mosaik vieler Naturgärten gerade im Siedlungsraum oder Siedlungsnähe, das eine besondere strategische Komponente darstellt.

Während allerdings das (staatliche) Schutzgebietsnetz, insbesondere Natura 2000, „kohärent“ (von lat. cohaerere = zusammenhängen) ist oder sein sollte (leider oft noch nicht erreicht), also sich die Schutzflächen in ihren Beiträgen und Vernetzungen gezielt ergänzen, lässt sich das mit Naturgärten meist nicht durchführen. Denn Naturgärten sind nach privatem Geschmack selbstbestimmt angelegt, ohne auf benachbarte Gärten und Schutzflächen der Region genau zu achten. Sie können vielleicht (zufällig) genau einen gesuchten Beitrag leisten, meist verdichten sie aber „nur“ das Biotopnetz ungerichtet. Das kann gelegentlich vernetztem Naturschutz helfen, ist aber meist nicht wirklich kohärent.

Naturgarten – Unersetzbar für Genuss-Erlebnis-Bildung

So vielsichtig und einzelfallbezogen der Wert eines Naturgartens als Lebensraum und als Beitrag zum flächenbezogenen Arten- und Biotopschutz ist, so eindeutig und wertvoll ist eine andere Funktion: Naturgärten sind  überaus bedeutend, um „ganzheitlich“ mit Menschen und mit Menschlichkeit einen Naturgenuss, ein schönes Naturerlebnis und vielgestaltige Naturbildung zu ermöglichen – schnell erreichbar, spontan und positiv überschaubar.

Die Alltagserfahrungen zu Natur(schutz) finden nämlich weniger in den staatlichen Schutzgebieten statt. Dort mag es zwar grandiose und auch langfristig prägende einzelne Freizeit- und Urlaubserlebnisse geben, die ungeheuer wichtig sind, aber die kleinen und in der Summe meist mindestens ebenso bedeutenden Naturerfahrungen finden privat und „zu Hause“ in Siedlungsnähe statt.

Und gerade hier liegt die besondere strategische Stärke von Naturgärten. Naturgärten für die Menschen – Menschen für Naturschutz – Naturschutz zum Leben! Nützen und Schützen in Einklang!

Naturgarten als Gesetz versus Naturgarten als Vision

Der Gedanke liegt nahe, dass Naturgärten einen gesetzlichen Schutzstatus erlangen sollten und damit rechtlich unterstützt werden sollten. Damit würden sie als strategische Säule in den Flächenschutz verbindlich eingeordnet, es würde ihrem großen „Bildungswert“ gerecht werden und zugleich könnte der Lebensraumwert für Arten- und Biotopschutz per Gesetz fallweise gelenkt und optimiert werden.

Ein mögliches Modell könnten die gesetzlich verankerten „Naturerlebnisräume“ im deutschen Bundesland Schleswig-Holstein sein.

Doch liegt darin auch eine Gefahr. Denn Naturgärten sind bisher meist privat und selbstbestimmt gestaltet und damit direkten staatlichen Einflüssen entzogen; damit verbunden sind vielfältige Gestaltungsfreiheiten, wohltuende Zufälle und positiv verstandene Eigenverantwortung. Gerade das sind angenehme und einzigartige Strophen im Konzert der Naturschutzmelodien, die nicht in ihrem freien Klang eingeschränkt werden sollten.

Naturschutz kann insgesamt nur schön und erfolgreich sein, wenn möglich wenige, aber kluge Vorgaben (Gesetze) – dort wo es denn unbedingt sein muss – und viel Freiraum in einem passenden Verhältnis zueinander spielen; und Naturgärten wiegen dabei gewichtig auf der Freiraumseite.

Gesetzliche Regelungen für Naturgärten bergen als Chancen und Gefahren. Es kommt sicherlich auf die genaue Ausgestaltung an, ob, wann und wie genau Naturgärten gewinnbringend gesetzlich verankert werden können. Dazu sollte offen diskutiert werden.

Wichtiger als eine Gesetzeseinbindung erscheint eher eine andere Vision zu sein, die gerade nicht nach gesetzlicher Grundlage verlangt und die auf folgender Analyse aufbaut:

Weil der staatliche Naturschutz aus verschiedenen Gründen, vor allem aber aufgrund starker konkurrierenden Interessen und entsprechenden Gesetzen der Gesellschaft nur begrenzt wirksam ist und derzeit offenbar vielerorts schwächer wird, kommt privatem Engagement große Bedeutung zu.

Es gibt bereits einige Privatpersonen, aber auch Stiftungen und Naturschutzvereine, die sich – enttäuscht über unzureichenden staatlichen Naturschutz oder über (zu) komplexe Abstimmungsprozesse – vom staatlichen Flächenschutz-System abwenden und auf eigenem Land private Naturschutzgebiete unterhalten, manchmal rein kommerziell orientiert, oft aber ideell und gemeinnützig ausgerichtet.

Diese privaten Schutzgebiete können sehr wirksam sein, sie sind teilweise offen für Besucher und haben oft gute Erlebnis- und Bildungsangebote. Berühmte Beispiele finden sich in den Ländereinen und privaten Nationalparks des Millionärs Douglas Tompkins in Südamerika, welche die Größe Kärntens deutlich überschreiten und wirkungsvoller als die teils maroden staatlichen Nationalparks sind, sowie in manchen privaten Schutzgebieten in Afrika, wovon manche die Größe kleinerer deutscher Bundesländer übertreffen.

In Europa gibt es das auch, allerdings oft „versteckter“ und kleinräumiger; bekannt sind manche Schutzflächen von Naturschutzvereinen und Stiftungen. Ein Nachteil ist die fehlende direkte demokratische Kontrolle (wenn das Land denn demokratisch ist). So sind Willkür und Fehler im privaten Schutzregime möglich, wobei aber selbstverständlich die Gesetze des Landes insgesamt befolgt werden müssen, die eine gewisse „Randkontrolle“ ermöglichen.

Egal, ob man diese Entwicklung beführwortet oder ablehnt, sie ist bereits da und als ein Teil im Naturschutz zu sehen. Privater Naturschutz auf einzelnen eigenen Flächen gab es zwar schon immer, er liegt aber aktuell im Trend, der stärker wird.

Und genau hier knüpft die eigene Naturgarten-Vision an:
– Viele Naturgärten entstehen. Sie können als private (Klein)Naturschutzgebiete mit Erlebnis-, Bildungs- und (begrenzter) Lebensraum – Schutzfunktion entwickelt und gestaltet werden. Diese „privaten Naturschutzflächen“ umfassen dann nicht wie auf anderen Kontinenten großräumige Ländereine, sondern sind angepasst an das relativ kleinräumige Landschaftsmosaik und die Kultur Europas: relativ klein, aber überaus vielgestaltig, selbstbestimmt und frei; frei auch von allzu formaler Kategorisierung.
– Naturgärten als private (Klein)Naturschutzgebiete befinden sich besonders im Siedlungsraum. Hier leben die meisten Menschen, hier gibt es viel Sehnsucht nach Naturerlebnissen auch im Alltag. Hier kann Naturliebe alltagstauglich multipliziert werden.
– Naturgärten und private Naturschutzflächen erfolgen nicht in Konkurrenz, sondern als Ergänzung der weiterhin wichtigen staatlichen Schutzflächen.
– Naturgärten verdichten als Punktwolken, Mosaike oder Netzwerke die (großräumigeren) Naturschutzflächen.
– Naturgärten sind vielgestaltig. Jeder ist einzigartig. Das bringt heimische Vielfalt zurück in die Landschaft. Zwar werden damit nicht immer übergeordnete definierte Naturschutzziele streng verfolgt, aber eine solche „Freinatur“ ist wunderschön und wichtig auf ganz eigene Art.
– Mit vielen Naturgärten kann ein ungezwungenes Verständnis für mehr Naturschutz erlangt werden. Das kann dann dazu führen, dass auch der staatliche und (hoffentlich) demokratisch gestaltete Naturschutz wieder mehr Unterstützung erfährt. Das ist dringend nötig, denn in Entscheidungsprozessen verlieren Naturschutzbelange oft gegenüber anderen Interessen. Naturgärtner bringen sich ein, sie unterstützen Naturschutz.
– Private Naturschutzgebiete und Naturgärten sollten –  zumindest an manchen Tagen – einsehbar und zugänglich für alle interessierten Menschen sein. Eine gute Idee von Albert Spitzer ist in diesem Zusammenhang ein Tag des Naturgartens (z.B. Frühlingsanfang), an dem diese Räume besucht werden können.

Das Projekt „Nahe der Natur“ – eines von vielen möglichen Naturgarten-Beispielen

In einem eigenen Projekt „Nahe der Natur“ (im Aufbau) wird versucht, den skizzierten Gedanken zu entsprechen. Ein aufgelassener und bewaldeter Steinbruch mit etwas Umland sowie Haus und Nebengebäuden (insgesamt ca. 7 ha) wurde bei Staudernheim (Nahetal, Deutschland) privat erworben.

Steinbruch-Grubenwand-AltmoosEtwas 2000 m² hausnahe Flächen werden sanft gepflegt und als Lebensraum gestaltet. Das wird als Naturgarten im engeren Sinne verstanden, mit vielen Blütenpflanzen, einer Wiese, Fels- und Steingarten, Hecken und Waldübergängen. Der große Rest bleibt ganz sich selbst überlassen („Wildnis“, bestehend aus Wald und Fels). Insgesamt kann das als privates kleines Naturschutzgebiet angesehen werden, eingebunden in das (staatliche) Natura 2000 – Schutzgebiet der Umgebung. Das Gelände kann gelenkt auf Pfaden betreten und erlebt werden.

Um den Bildungs- und Erlebnisgedanken in umfassendem Sinne gerecht zu werden, wird hier ein kleines Mitmach-Museum für Naturschutz aufgebaut, mit einer kreativen Erlebnisausstellung drinnen und Installationen draußen. Es steht die ideologiefreie Naturerfahrung und anregende Information rund um Naturschutz im Vordergrund.

Das „Nahe der Natur“ – Projekt ist wie jeder Naturgarten ein stetiger Prozess im und mit dem Leben und seinen Veränderungen, mit viel Freiraum für Kopf und Seele, mit Freiraum für die Natur, unsere Natur! Gerade das ist zugleich ein gutes Mittel, um als Mensch gesund zu Hause zu sein.

Naturgarten: – FreiNatur zum Hausgebrauch

1 Kommentar zu “Naturgarten:-FreiNatur zum Hausgebrauch, von Michael Altmoos”

  1. […] freue mich über Aussagen von Naturschützern die der Meinung sind, dass Naturschutz auch Bereiche außerhalb des “allgemeingültig […]

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